23. April 2025
Den Blick schärfen durch lebendige Erinnerungskultur
Am 8. Mai 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 80. Mal. Denn am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr (MEZ) trat die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht in Kraft. Somit markiert das Datum das Ende des NS-Regimes und gilt als „Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus“. Doch 80 Jahre später drängt sich eine unbequeme Frage auf: Sind wir heute wirklich gesellschaftlich und politisch davon befreit?
In einem Land, in dem eine vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Partei wie die AfD als zweitstärkste Kraft in den Bundestag gewählt wurde, in dem demokratiefeindliche Narrative salonfähig werden und Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Identität oder Haltung sich oftmals nicht mehr sicher fühlen – müssen wir uns diese Frage stellen.
Der 8. Mai mahnt uns, unsere Gegenwart mit wachem Blick zu betrachten. Er ist Erinnerung – und Auftrag zugleich. Demokratie, Menschenrechte und eine offene Gesellschaft sind keine Selbstläufer. Sie müssen verteidigt, erklärt, gelebt werden – Tag für Tag, Generation für Generation.
Unser Bildungs- und Gedenkstättenfahrten laden Menschen unterschiedlicher Generationen und Hintergründe genau dazu ein, den Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart zu schärfen, Zusammenhänge zu erkennen und die Perspektive zu wechseln, damit auch unsere Kinder, Enkelkinder, Nichten und Neffen in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft aufwachsen können. Unsere Fahrten vermitteln aber nicht nur Wissen und Erfahrungen, sondern sind vor allem auch: Begegnung, Austausch, Miteinander.
Exemplarisch dafür stehen unsere jährlichen Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz und Krakau. Eine Teilnehmerin der Reise vom 19. bis zum 23. März 2025 schilderte uns im Nachgang ihre Eindrücke folgendermaßen:
„Es sind nun schon einige Tage vergangen, seit die Bildungsreise nach Auschwitz und Krakau stattgefunden hat. Ich möchte Ihnen ein kleines Feedback geben und sie vor allem ermuntern, mit Ihren tollen Angeboten weiterzumachen.
Die Eindrücke sind noch ganz präsent und hallen laut nach. Ich bin unfassbar dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, an dieser Reise teilzunehmen. Die Gedenkstätten Auschwitz und Birkenau zu sehen, hat die Geschehnisse unserer Geschichte einerseits greifbarer gemacht, aber andererseits ist es fast noch unfassbarer, welche Grausamkeiten sich zugetragen haben, wenn man einmal diesen Ort gesehen hat. Ich habe wahnsinnig viel gelernt. Ich konnte Wissen vertiefen und mein Bewusstsein schärfen. Unsere Guides auf dem jüdischen Friedhof in Oświęcim, im Stammlager Auschwitz sowie Auschwitz-Birkenau und auch in Krakau waren total toll. Ich bin sehr beeindruckt von ihrem Wissen und von ihrer Art und Weise, zu vermitteln. Ganz besonders herausragend war für mich, die Kunstsammlung in der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen. Das hat mich sehr bewegt.
Ich möchte außerdem ein ganz großes Lob an unsere Seminarbegleitung Edith und Florian aussprechen. Die beiden haben einen tollen Job gemacht und uns Schäfchen immer beisammen gehalten.
Was ich aber vor allem im Kopf behalte ‒ aber nicht nur dort, sondern vor allem im Herzen ‒ sind die Begegnungen mit den Menschen aus der Reisegruppe. Es ist meine erste Bildungsreise gewesen und offen gestanden, war ich etwas skeptisch, wie ich so eine Reise mit fremden Menschen wohl finden werde und dabei hat es so gut funktioniert. Es gab viele Sympathien sowie anregende und schöne Unterhaltungen. Mit einigen war es so nett, dass wir immer noch Kontakt haben und uns auch wiedersehen wollen.
Ganz besonders bereichernd fand ich aber, dass Mitarbeitende einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung mit ihren Betreuern dabei gewesen sind. Das war für mich wirklich gelebte Inklusion, denn wir alle haben uns für dieses Thema interessiert, ganz egal, woher wir kommen oder mit welchen Voraussetzungen wir ausgestattet sind. Ich möchte sie unbedingt dazu ermuntern und auch ermutigen, es proaktiv zu forcieren, Reisegruppen so inklusiv zu gestalten. Ich muss wirklich sagen, dass manche persönliche Unterhaltungen mit den Werkstattmitarbeitenden mir wahnsinnig nah gingen ‒ ihre ganz unmittelbare und direkte Art. Zugleich haben sie ganz viel Leichtigkeit in die Gruppe mit eingebracht.
Vielen Dank für Ihr Engagement und vielen Dank für diese Möglichkeit.“
Auch für unsere Praktikantin Edith, die die Fahrt begleitete, war es ein sehr beeindruckendes Erlebnis:
„Als Praktikantin bekam ich die Möglichkeit, sowohl Teilnehmerin als auch Seminarbegleitung auf dieser Fahrt zu sein und damit Verantwortung für die Gruppe zu übernehmen. Unser Programm startete am ersten Tag in Oświęcim mit einer Stadtführung unter dem Fokus des polnisch-jüdischem Zusammenlebens vor 1939 und nach 1945. Dabei wurde uns unteranderem aufgezeigt, wie damals von den Deutschen versucht wurde, das Stadtbild zu verändern. Die zwei folgenden Tage ging es zu den Gedenkstätten Auschwitz I und II. Am ersten Tag besichtigten wir das Stammlager Auschwitz I. Dort hatten wir das besondere Privileg die Kunstsammlung der Gedenkstätte zu besuchen. Dabei handelt es sich um eine Ausstellung mit Werken, die von den KZ-Häftlingen angefertigt wurden – manchmal als NS-Auftragsarbeiten, oftmals heimlich und unter Lebensgefahr nach draußen geschmuggelt. Am zweiten Tag bekamen wir eine Führung über das Gelände des Vernichtungslagers Auschwitz II/Birkenau. Die immense Größe dieses Lagers schockierte mich und viele der Teilnehmenden.
Der zweite Teil der Bildungsfahrt führte uns nach Krakau. Mit unserem Guide Teresa Ostrowska erkundeten wir die historische Altstadt und erfuhren von der geschichtsträchtigen Vergangenheit der ehemaligen polnischen Hauptstadt. Noch am gleichen Tag zeigte sie uns auch das ehemalige jüdische Ghetto Podgòrze, wo sie die Geschichte des Stadtteils und die Verfolgung der Juden schilderte. Am Abend kehrten wir als Gruppe in ein Restaurant ein, wo wir begleitet von Live-Klezmer-Musik die jüdische Küche genossen. Am Abreisetag führte uns Teresa durch das ehemalige jüdische Viertel Kazimierz. Sie gab uns nicht nur wertvolle Einblicke in das jüdische Leben vor Ort, sondern machte uns auch mit der Remuh-Synagoge und ihrer Geschichte vertraut.
Für mich war es die erste große Bildungsfahrt. Es waren definitiv fünf sehr interessante und eindrucksvolle Tage. Vielen Dank an das Herbert-Wehner-Bildungswerk, dass ich dabei sein durfte! Diese Fahrt wird mir lange in Erinnerung bleiben.“